Freitag, 16. September 2011

Das Verbrechen

Stellen Sie sich vor, Sie hätten das erste ernstzunehmende elektrisch angetriebene Auto konstruiert. Alltagstauglich, mit Platz für vier Personen. Das ganze zu einem akzeptablen Preis. Sie hätten einen Deal mit 37 Stromanbietern in ganz Deutschland geschlossen, um Ihre zukünftigen Kunden günstig mit Ökostrom für eben dieses Auto zu versorgen. Ihre Konkurrenz (die normalweise die Zukunft des Automobils oder gleich die ganze Kategorie für sich in Anspruch nimmt) würde meilenweit hinterherhinken. Eine schöne Vorstellung, nicht wahr? So muss sich ein Held fühlen.

Stellen Sie sich außerdem vor, dass alles, was Sie jetzt noch tun müssten, um sich und ihrer dahinsiechenden, permanent von Werksschließungen, Insolvenz oder Verkauf bedrohten Marke die Zukunft zu sichern, das eine wäre: dieses Auto, diesen Durchbruch in die Welt zu schreien! Jeder soll erfahren, dass Ihre Marke nicht nur lebt, sondern förmlich Funken sprüht.

Wenn das Ihre Aufgabe wäre - würden Sie dann Millionen in die Hand nehmen und einen Spot produzieren und schalten, in dem es um Jogger, Taucher und Bergsteiger geht? So bescheuert wären Sie nie, denn niemand kann so bescheuert sein. Wirklich niemand? Schauen Sie sich das an:




Warum gehen die Opel-Arbeiter nicht gegen ihre Marketingabteilung auf die Barrikaden?
Opel ist eine bewunderungswürdige Marke, die hervorragende Autos baut. Der Astra ist ein supersolides Volumenauto, der Insignia eine herausragende Limousine, der Ampera ein Durchbruch. Aber irgend jemand bei Opel scheint beschlossen zu haben: "Wir verraten es niemandem, sollen es die Leute doch selbst herausfinden."

Wie muss sich der Bochumer Opelaner fühlen, der im Monatsrhythmus hört, dass sein Arbeitsplatz noch ein bisschen unsicherer geworden ist, dass er auf noch mehr verzichten soll, wenn er im Fernsehen sieht, wie das, wovon seine Zukunft abhängt, vorsätzlich nicht verkauft wird?

Schlimmer noch: Wer wird denn entlassen, wenn am Ende des Quartals die Kasse nicht stimmt? Genau - der einzige, der seine Arbeit ordentlich gemacht hat - der einfache Arbeiter. Die Marketingmannschaft schwelgt derweil in Erinnerungen an die tollen Dreharbeiten. Irgendwann wird ja das nächste Modell kommen, das man nicht verkaufen muss.

Dass die Führung die Zukunft der einfachen Leute verschusselt, war in Algerien, Ägypten, Libyen und Griechenland der legitime Grund, auf die Straße zu gehen. Niemand könnte es den Arbeitern in Rüsselsheim, Bochum, Eisenach und Kaiserlautern übel nehmen, täten sie das selbe.

Es wäre so leicht.
Opel ist eine solide, bodenständige, grundehrliche Marke, die ausgezeichnete Autos baut, die sich nicht verstecken müssen. Weder hinter albernen Ocean's Eleven-Abklatsch-Storys (Astra), noch hinter Mistery-Clips in Lomo-Optik (Insignia) und erst recht nicht hinter belanglosen Vergleichen (Ampera). Alles, was nötig ist, um Autos wie diese zu verkaufen, ist Respekt den Leuten gegenüber, die sie konstruiert und gebaut haben. Das – und der berechtigte Stolz auf die gemeinsame Leistung.

Alles, was man tun muss: Ganz einfach zeigen, wie das Auto aussieht, was es kann, und wie toll es ist. Das zu unterlassen, ist kein Fehler. Es ist ein Verbrechen.


2 Kommentare:

  1. 500 km Reichweite – das ist ein starker Benefit. Nach Deinem Verriss hatte ich Schlimmeres erwartet.
    Allerdings: etwas mehr Auto hätte dem Spot sicher nicht geschadet.

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  2. Vor allem etwas mehr Durchbruch wäre gut gewesen. Es gibt ja de fakto kein anderes Auto, das da mithalten kann. Das ist ja das Ärgerliche: Ein Vergleich an sich ist gar nicht nötig. Dann wählen die auch noch einen Vergleich mit völlig unbekannten Menschen (bei Apple waren's seinerzeit ja wenigstens Albert Einstein, Picasso, etc., das ist zumindest die richtige Liga) und dann stellt man auch noch fest, dass diese Unbekannten eigentlich völlig irrelevante Leistungen erbracht haben. Hätte man gleich den Skatkartenmischweltmeister aus Castrop-Rauxel nehmen können.

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