Samstag, 18. April 2015

Wahnsinn? Ach was: Lehrplan!

Wie wir alle mehrfach täglich hören oder - die's noch können - lesen, leben wir in einer Wissensgesellschaft. Der wichtigste Rohstoff steckt nicht in unseren Böden, sondern in unseren Köpfen. Beziehungsweise den Köpfen unserer Kinder. Allerdings sieht es so aus, als würden auch da die Bergwerke stillgelegt.

Beispiel gefällig: In der dritten Klasse lernen unsere künftigen Rohstoffproduzenten die schriftliche Subtraktion - nach dem sogenannten Abziehverfahren. Ein als "Elternbrief" der Mathematiklehrerin getarntes Formblatt des Klettverlags (cui bono) erklärt auch, warum "wir" uns für dieses Verfahren entschieden haben:

"Das Abziehverfahren
  • wirkt sich positiv auf das Verständnis der Rechenoperation aus,
  • entspricht der Vorstellung des Subtrahierens als „Wegnehmen“, das Zwischenergebnis wird am Ende der Rechnung aufgeschrieben und nicht in der Mitte wie beim Ergänzungsverfahren
  • kann handelnd mit Material (Rechengeld) nachvollzogen werden."
Soweit die Lehrerin der Klettverlag.

Klingt ja vielversprechend, wenn auch nicht unbedingt verständlich. Oder wann haben Sie beim Subtrahieren jemals ein Zwischenergebnis in die Mitte geschrieben? Wie auch immer: Schauen wir uns mal an, wie dieses Verfahren funktioniert. Als Beispiel eine nicht besonders ungewöhnliche Rechenaufgabe: 


Beim Abziehverfahren wird von oben nach unten gerechnet, die Zahlen voneinander abgezogen. Um die "Stärken" des Systems zu zeigen, sind die Denkschritte durchnummeriert.


1. Denkschritt: "4-5. Das geht nicht!"
Wesentliche Eigenschaft des Abziehverfahrens ist die "Endbündelung". Ein Zehner kann man zu 10 Einern "entbündeln". (Wohlgemerkt: Wir sind in der dritten Klasse. Ich bin 47 Jahre alt und habe das Wort "entbündeln" heute zum ersten Mal benutzt. ) Hat man dann entbündelt, so kann sich die Einerstelle einen Zehner leihen und dann kann mit der so erhöhten Einerstelle weitergerechnet werden.




2. Denkschritt: "Ich geh mir mal was leihen" (Der Verdacht liegt nah, dass diese Rechenmethode in sozialdemokratisch regierten Bundesländern besonders beliebt ist.)

3. Denkschritt: "Da ist aber eine Null. Von einer Null kann ich mir nichts leihen. Ich muss weitersuchen" (Das muss eine sozialdemokratische Rechenmethode sein)

Das Leihen geht weiter. In diesem Fall mit dem gleichen Ergebnis. Wir finden einfach keinen Kreditgeber:


4. Denkschritt: "Schon wieder eine Null. Ich muss weitersuchen"
Man rutscht so lange die Zehnerpotenzen nach oben, bis man einen edlen Spender gefunden hat.



Hurra. Wir haben jemanden gefunden, der uns etwas geben kann. Jetzt wird entbündelt!



5. Denkschritt: "Den 1000 lösen wir auf. Also durchstreichen"
6. Denkschritt: "Dann habe ich zwar keinen 1000er mehr (Null hinschreiben)"
7. Denkschritt: "Aber 10 Hunderter." Das Ergebnis nach 7 Denkschritten sieht dann wie folgt aus:


8. Denkschritt: "Noch schnell die 0 Hunderter streichen, die sind ja jetzt 10 draus geworden." 
Aber eigentlich wollten wir ja was anderes machen. Nämlich was für die Zehnerstelle leihen. Das tun wir jetzt:



9. Denkschritt: "Von den 10 Hundertern nehme ich einen und hab dann nur noch 9."
10. Denkschritt "Der geliehene Hunderter sind 10 Zehner."
11. Denkschritt: "Nicht vergessen: Die Null durchstreichen."

Falls sich noch jemand erinnert: Ursprünglich wollten wir nur 4-5 rechnen. Dazu kommen wir jetzt. Nicht sofort. Aber demnächst. Zuerst mal erfolgt der letzte Leihvorgang:


12. Denkschritt: "Von meinen 10 Zehnern spendiere ich einen den Einern."
13. Denkschritt: "So werden aus 4 Einern 14 Einer."
14. Denkschritt: "Die 10 Zehner werden zu 9 Zehnern."
15. Denkschritt: "Durchstreichen nicht vergessen!"

Jetzt geht's aber los mit dem Rechnen:



16. Denkschritt: "14-5 kann ich rechnen. Das gibt 9."
Die Einer wären schon mal voneinander abgezogen. Jetzt kommen die Zehner dann. Wo stehen die denn? Die Rechnung sieht zwischenzeitlich etwas wuselig aus, aber seien Sie versichert: Falls ihr Kind nicht in DIN-Schrift schreiben sollte, wird es noch viel viel schlimmer aussehen. Ach ja: Das sind ja die Zehner. Neun an der Zahl:



17. Denkschritt: "9-3 gibt 6" Und jetzt die Hunderter:


18. Denkschritt: "10 ... nein das war ja durchgestrichen 9 Hunderter minus 2 Hunderter macht 7 Hunderter"
Die 1000 können wir uns Gott sei Dank sparen, da steht ja schon die Null. Schon fertig!

Zum Vergleich: Das herkömmliche Verfahren (Ergänzungsverfahren) kommt natürlich zum gleichen Ergebnis. Allerdings sind die Schritte gleichförmiger, weniger und man kommt mit deutlich weniger Kritzelei aus:


Mehr Denkschritte. Mehr Schreibarbeit. Mehr Fehlerquellen. So bringt man den Kindern schon frühzeitig bei, Mathe mit Frust zu verbinden. Was wird wohl ein paar Jahre später passieren, wenn so eine Subtraktion nur ein Teil einer komplexen Aufgabe ist. Kein Wunder, dass uns der Nachwuchs in den MINT-Fächern fehlt. So erzieht man keine Ingenieure. So geht man nicht mit Rohstoffen um!

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